Grenzregionen in OpenStreetMap: Gorizia – Nova Gorica
Finn Dammann, Julia Kaupper, Dominika Hudi
Einleitung
In OpenStreetMap können soziale Segregationsmuster anhand von Bruchlinien in der Datendichte und spezifischen Editierpräferenzen von Usern erkannt und analysiert werden. Das hier gewählte Untersuchungsgebiet ist eine italienisch-slowenische Doppelstadt, deren Grenzverlauf sich über die Jahre hinweg mehrfach verändert hat. Durch einen oberflächlichen Vergleich anhand des Geofabrik-Tools Map Compare1 sowie der OSM- Standardkarte lässt sich ein deutlicher Unterschied in der OSM-Datendichte der aneinander grenzenden Städte Gorizia (Italien) und Nova Gorica (Slowenien) erkennen. So nimmt die Detailliertheit auf slowenischer Seite stark ab, was besonders anhand nicht editierter Gebäude deutlich wird. (vgl. Abbildung 1)
Abb. 1: Ausschnitt OSM-Standardkarte mit Hervorhebung des Grenzverlaufes zwischen Gorizia und Nova Gorica Quelle: http.//www.openstreetmap.org/#map=14/45.9576/13.6386 (Stand: 15.03.2015)
In einem ersten Schritt findet eine historische Einordnung der Städteentwicklung statt. Anschließend folgt ein Datenvergleich zwischen den Gemeinden Gorizia und Nova Gorica auf Basis von OSM-Node-Tabellen. Im weiteren Verlauf liegt der Fokus auf dem aktivsten User und den Cross-Border-Mappern. Anhand dieser Daten soll analysiert werden, ob sich durch das Editierverhalten der OSM-Community in der Grenzregion „Gorizia – Nova Gorica“ eine Reproduktion der administrativen Grenze feststellen lässt.
Untersuchungsgebiet: Historische Einordnung
Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges gehörte die damalige Stadt Görz zu Österreich-Ungarn. Nach dem Waffenstillstand 1918 fiel Görz (neben Istrien und Venetien) an Italien und wurde zu Gorizia.
In Folge der neuen Grenzziehung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges („Frieden von Paris“) erhielt Jugoslawien bisher italienische Gebiete, unter ihnen den Großteil der Provinz Gorizia. Die Grenze zwischen Italien und Jugoslawien verläuft seit 1947 nun direkt hinter der Stadt Gorizia; in den Folgejahren entstand als Pendant dazu auf der jugoslawischen Seite die Stadt Nova Gorica quasi vom Reißbrett. Das einzige Gebäude auf der heute slowenischen Seite, welches aus der Zeit der K.u.K.-Monarchie stammt, ist das Bahnhofsgebäude (vgl. Abbildung 2).
Abb. 2: Historische Grenzverläufe im heutigen Grenzgebiet Italien-Slowenien. Quelle: Čede, Fleck, Lieb 2010: 204
Im Zuge der EU-Osterweiterung im Mai 2004 und dem Wegfall der Grenzkontrollen im Dezember 2007 (Inkrafttreten des Schengen-Abkommens) ist es rund 60 Jahre nach der Grenzziehung wieder problemlos möglich die Grenze zu überschreiten. Die „harte Grenze“ des einstigen Eisernen Vorhangs aus den Zeiten des Kalten Krieges ist heute eine „weiche Grenze“, die streckenweise nur durch steinerne Linien im Bodenbelag sichtbar ist (siehe Abbildung 3).
Abb. 3: „weiche Grenze“ zwischen Gorizia und Nova Gorica Quelle: VOX europ 2009
Der größere Bevölkerungsteil des Untersuchungsgebietes befindet sich mit rund 35.000 Einwohnern auf italienischer Seite. Im Stadtgebiet Nova Gorica leben in etwa nur halb so viele Menschen; im gleichnamigen Verwaltungsbezirk dagegen 30.000. In Italien und den italienischen Grenzprovinzen liegt das nominale BIP auf einem höheren Niveau als in Slowenien und den slowenischen Grenzprovinzen (siehe Abbildung 3). Die Unterschiede in der Wirtschaftsleistung (relatives BIP) haben sich im Zeitraum 2000-2011, insbesondere auf nationaler Ebene, verringert; in den Grenzprovinzen ist dieser Effekt nicht so stark ausgeprägt.
Abb. 4: BIP nominal auf NUTS-3-Ebene Quelle: Eurostat 2014
Sowohl die slowenische als auch die italienische Gemeinde verfügen über verschiedene Faktoren, die grenzüberschreitende Mobilität fördern. In Slowenien etwa sind neben Benzin und Zigaretten auch Restaurantbesuche günstiger. Auf der italienischen Seite hingegen ist der Immobilienmarkt attraktiver: die Preise für qualitativ hochwertigere Immobilien sind vergleichsweise um ein Drittel günstiger als in Slowenien. Nova Gorica bietet aufgrund einer Vielzahl an Arbeitsplätzen in den Casinos, Hotels und Einkaufszentren, sowie durch ihren Status als Universitätsstadt einen großen Pendleranreiz (vgl. Braun 2009, Čede, Fleck, Lieb 2010, Wengert 2009).
Analyse des Editierverhaltens im Untersuchungsgebiet
Um das Untersuchungsgebiet in pgAdminIII anhand von SQL-Abfragen untersuchen zu können, wurde über OpenStreetMap eine bounding box der Grenzstädte Gorizia und Nova Gorica ausgewählt und ways-, nodes- und relations-Datensätze in aktueller Version mit der Overpass API heruntergeladen (Stand: 2. Februar 2015). Im nächsten Schritt wurden Polygone der relations Gorizia und Nova Gorica erstellt. Um einen entsprechenden Vergleich ziehen zu können, wurde für das Untersuchungsgebiet die Grenze des admin_level 8 (boundary of municipalities) gewählt. Durch die Darstellung in QGIS wurde ersichtlich, dass sich die Größenordnung der beiden Gemeinden erheblich unterscheidet. Auf der slowenischen Seite zählt neben dem Stadtgebiet Nova Gorica auch das angrenzende Umland mit mehreren Vororten zum Gemeindegebiet. Auf der italienischen Seite hingegen ist das Stadtgebiet in etwa deckungsgleich mit dem Verwaltungsbezirk. Die Größenunterschiede der Verwaltungseinheiten wurden berücksichtigt und gingen in die Analyse ein.
Für die Untersuchungen auf Ebene der beiden Gemeinden wurden Tabellen von nodes und ways auf Basis von Gemeinde-Relationpolygonen von Gorizia und Nova Gorica erstellt. Hierauf aufbauend wurde untersucht, wann in der jeweiligen Stadt die ersten Editierungen stattgefunden haben. Anschließend wurden hierzu die einzelnen Jahre bezüglich der nodes und ways auf beiden Seiten der Grenze untersucht und in Tabelle 1 gegenübergestellt. Als Grundlage für die Darstellung der Entwicklung der Datendichte fungieren OSM-Datensätze in aktueller Version ohne Verwendung der history-Daten.
Tabelle 1: Editierungen im Zeitverlauf 2007 – 2014 (Datengrundlage: OSM) |
In beiden Städten sind die ersten Editierungen nodes vom 22.06.2007. Die ersten ways wurden etwa ein Jahr später hinzugefügt und unterscheiden sich in den beiden Städten um etwa zwei Wochen (Gorizia: 24.06.2008; Nova Gorica: 07.07.2008). Obwohl für den Gesamtzeitraum in Gorizia vergleichsweise mehr editiert wurde (Gorizia: 104.569 nodes und 13.478 ways; Nova Gorica: 21.847 nodes und 1.393 ways), kann man für das Jahr 2007 feststellen, dass in Nova Gorica mehr node-Editierungen stattgefunden haben (Gorizia: 5; Nova Gorica: 158). In Nova Gorica kann man einen stetig steigenden Trend über die Jahre hinweg feststellen. Lediglich das Jahr 2013 fällt mit einem Peak aus dem Rahmen. Für Gorizia kann ein deutlicher Editierungs-Peak für das Jahr 2009 festgestellt werden: jeweils etwa 80% der nodes und der ways wurden in diesem Jahr editiert.
Um einen generellen Überblick des Editierverhaltens in der Gesamtregion zu erhalten, wurden zunächst allgemeine Abfragen durchgeführt. In diesem Zusammenhang wurde anhand von node- und way-Editierungen untersucht, welche User im Untersuchungsgebiet besonders aktiv waren, was in Abbildung 5 und Abbildung 6 dargestellt wird.
Abbildung 5: Node-Anzahl der 10 aktivsten User
Abbildung 6: Way-Anzahl der 10 aktivsten User
Im Vergleich der beiden Tabellen wird ersichtlich, dass drei User sowohl bei den node-Editierungen, als auch bei den way-Editierungen besonders aktiv sind. Speziell sticht hier der „Early-Mapper“ „simone“ (User-ID: 137) hervor, der offensichtlich einen entscheidenden Beitrag für die OSM-Kartierung in der Region geleistet hat. Die Recherche auf OSM-wiki bestätigte, dass „simone“ seit Anfang 2005 an OSM beteiligt und seit der Projekt-Gründung ein aktives Mitglied der OSM-Community ist; hierauf weist auch seine ID-Nummer hin (vgl. OSM-Wiki o.J.). „simone“ ist außerdem für einen Großteil der Editierungen im Jahr 2009 verantwortlich. Der User hat 79.461 nodes und 9.150 ways in Gorizia editiert, in Nova Gorica sind es lediglich 533 nodes und 72 ways. Es lässt sich also eine deutliche Präferenz für Gorizia feststellen. Dabei fällt der enge Zeitraum der gesamten Editierungen auf (18.-20.06.2009). Bevorzugt vergeben hat „simone“ die tags builing(s) und height, sowie Codes für „places of interest“ (it:fvg:ctrn:code), wie z.B. Restaurants. Ein Protokoll der autonomen Region Friaul-Julisch Venetien (OSM-Wiki 2008) zeigt in diesem Zusammenhang, dass „simone“ auf offizielle kartographische Daten zurückgegriffen hat.
Cross-Border-Mapper zwischen Gorizia und Nova Gorica
Karten folgen häufig einem Darstellungssystem, in dem es eine territoriale Einteilung in das „Eigene“ und das „Andere“ gibt und administrative Grenzen als Orientierungsraster einer vorgestellten Territorialität fungieren. Wie Mose (2009) am Beispiel „offizieller“ Kartographie in Katalonien zeigt, spielt das Ausblenden bzw. Ausgrauen des „Anderen“ eine zentrale Rolle in der Produktion spezifischer Raumvorstellungen. Dieses Ausblenden, auch als „Cartographic silences“ bezeichnet, kann aus verschiedenen Gründen entstehen, folgt aber jeweils dem Prinzip der Selektivität. In der OpenStreetMap zeichnen sich Gebiete durch unterschiedlich starken Detailreichtum voneinander ab. Wie Bittner (2014) am Beispiel von Jerusalem zeigt, können sich in der Datendichte sozialräumliche Segregationen widerspiegeln, die spezifischen Bruchlinien folgen. Ausgehend von diesen Beobachtungen soll hier geklärt werden, inwieweit die administrative Grenze zwischen Gorizia und Nova Gorica eine solche Bruchlinie in den OSM-Daten darstellt.
In einem ersten Schritt wurden hierfür alle User gesucht, die nodes sowohl in Nova Gorica als auch Gorizia editiert haben. Von insgesamt 141 verschiedenen Usern (106 Nova Gorica, 78 Gorizia) trifft dies auf 39 zu. Zusätzlich finden sich noch drei User in den ways-Tabellen, die nicht in beiden nodes-Tabellen auftauchen, sodass insgesamt 29% aller User in beiden Gemeinden editiert haben. Für die Gesamtedition spielen diese User eine herausragende Rolle: 60,5% der nodes in Nova Gorica und 98,8% der nodes in Gorizia1 stammen von ihnen. Zusätzlich zeigt die Analyse eine deutliche Präferenz eines Großteils der Cross-Border-Mapper zu jeweils einer Gemeinde.2 Besonders deutlich wird dies im Vergleich der ways-Tabellen. Abbildung 7 listet alle User auf, die in beiden Gemeinden ways editiert haben, geordnet jeweils nach der Lokalität, in der die Editionen vorgenommen wurden. Neben der höheren Editionszahl in Gorizia fällt auf, dass die Präferenz mit steigender Anzahl zunimmt und nur User mit wenigen Editionen (noch) nicht eindeutig zu einer Gruppe zugeordnet werden können.
Abb. 7: Anzahl der way-Editionen von Cross-Border-Mappern geordnet nach Lokalität
Bei einer kartographischen Darstellung aller ways von Cross-Border-Mappern, klassifiziert nach Präferenz, zeigt sich die sozialräumliche Bruchlinie zwischen beiden Gemeinden (vgl. Abbildung 8). Nur wenige User nehmen Editionen in nicht-präferierter Lokalität vor. Diese liegen häufig in Grenznähe.
Abb. 8: Way-Editionen von Cross-Border-Mappern, farblich geordnet nach Präferenz (eigene Darstellung)
Fazit
Die Analyse der OSM-Daten in der italienisch-slowenischen Grenzregion zeigt ein deutliches Muster in Datendichte und Userpräferenz. Als Bruchlinie beider Untersuchungen konnte die Staatsgrenze bestätigt werden, wobei ein großer Teil der Daten aus dem Gebiet der Gemeinde Gorizia aus offizieller kartographischer Quelle stammt und vom User simone in OpenStreetMap übertragen wurde.
User nehmen zu einem Großteil keine Editionen in beiden Gemeinden vor. Auch Cross-Border-Mapper zeigen deutliche Präferenzen, die besonders mit steigender Editionsanzahl sichtbar werden. Editionen werden demnach nicht unabhängig von der administrativen Grenze vorgenommen. Vielmehr sind gerade Cross-Border-Mapper, von denen der größte Teil aller Editionen stammt, am indirekten Prozess der Reproduktion der Grenze in OpenStreetMap beteiligt.
1URL:http://tools.geofabrik.de/mc/#12/45.9580/13.6686&num=4&mt0=mapnik&mt1=google-map&mt2=bing-map&mt3=mapnik-german (zuletzt aufgerufen am 26.02.2015)
2 Hiervon stammen 76,8% vom User simone (ID = 137).
3 19 mit Präferenz in Nova Gorica gegenüber 17 mit Präferenz in Gorizia
Literaturverzeichnis
Bittner, C. (2014): Reproduktion sozialräumlicher Differenzierungen in OpenStreetMap: das Beispiel Jerusalems. In: Kartographische Nachrichten, 64. Jg. 2014 Heft 3: 136-144
Braun, M (2009):Slowenisch-italienische Grenzerfahrungen. 24 Stunden geöffnet. In: TAZ (02.06.2009). URL: http://www.taz.de/!35479/ (zuletzt aufgerufen am 23.02.2015).
Čede, P., Fleck, D., Lieb, G.K. (2010): Die Veränderung von Staatsgrenzen und ihre Folgen im slowenisch-italienischen Grenzraum. In: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft 152 (Jahresband): 201–227.
Eurostat (2014): Gross domestic product (GDP) at current market prices by NUTS 3 regions. URL: http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=nama_r_e3gdp&lang=en (zuletzt aufgerufen: 23.02.2015).
Mose, J.: Die Rolle von Karten bei der (Re-)Konstruktion territorialer Identität: Das Beispiel Katalonien vor dem Hintergrund spanischer und europäischer Identität. In: Geographische Zeitschrift, 97. Jg. 2009. Heft 4: 213-226
OSM-Wiki. User Simone. URL: http://wiki.openstreetmap.org/wiki/User:Simone (zuletzt aufgerufen am 23.02.2015).
OSM-Wiki (2008): Protokoll der autonomen Region Friaul-Julisch Venetien. URL: http://wiki.openstreetmap.org/w/images/b/b3/Authorization-Friuli-Venezia-Giulia.png (zuletzt aufgerufen am 23.02.2015).
VOX europ (2009): Ignorante Schwesterstädte. URL: http://www.voxeurop.eu/files/images/article/gorizia_1.jpg (zuletzt aufgerufen: 23.02.2015).
Wengert, V. (2009): Slowenien-Italien. Eine Stadt mit zwei Gesichtern. Fünf Jahre EU-Osterweiterung. In: Arte TV (20.04.2009). URL: http://www.arte.tv/de/slowenien-italien-eine-stadt-mitzwei-gesichtern/2594316,CmC=2598686.html (zuletzt aufgerufen: 23.02.2015).